Blog

Vortrag “Beziehungskunst” (Sven Saar)

Junge Menschen erleben heute in Liebe, Identität und Orientierung die Freiheit des Ozeanschwimmers, wo vorangegangene Generationen sich oft noch in engen Kanälen bewegen mussten. Auf dem offenen Meer zu navigieren bedarf anspruchsvollerer Instrumente, als sie uns Lehrer*innen im 20. Jahrhundert zur Verfügung standen.

In diesem Langzeitprojekt geht es den Initiatoren um viele Arten von Liebe, um Gender, Geschlecht und Gerechtigkeit. Wir wollen zeigen, wie die junge Generation von Beginn an auf ihrer biografischen Reise einfühlsam und altersgerecht beraten und begleitet werden kann. Zur lebensbejahenden Menschwerdung gehört die Fähigkeit, mit sich selbst und anderen erkennend und liebevoll umgehen zu können: die Beziehungskunst.

Beziehungskunst – Menschlichkeit, Identität und Sexualpädagogik in der Waldorfschule
Sven Saar (Hrsg.)
edition waldorf 2022
ISBN 978-3-949267-37-6

Zu Vortrag:
Mit ihrem ganzheitlichen, liebevollen Ansatz ist die Waldorfpädagogik hervorragend geeignet, sich modernen gesellschaftlichen Herausforderungen zu stellen – wie werden wir diesem Anspruch auf achtsame Weise gerecht? Kann die Waldorfschule einen zeitgemäßen Beitrag zur Förderung sozialer Gerechtigkeit leisten?

Inhaltlich beschäftigen wir uns mit neuen Paradigmen der Beziehung zu Schülerinnen, aber auch deren Umgehen miteinander. Wir schauen auf bewusste und unbewusste Vorurteile, klären Begrifflichkeiten und betrachten unsere Praxis von der Perspektive der sozialen Gerechtigkeit: was können, was müssen wir vermeiden, um nicht ausgrenzend oder verletzend zu wirken? Wir besprechen auch die Lehrpläne und vertraute Unterrichtsinhalte sowie ganz konkret den Bereich der Sexualkunde: was ist in welchem Alter angemessen? Wie kann eine “echte” Waldorfepoche zum Thema gestaltet werden, sodass mit Mitteln der Kunst, Wissenschaft und sozialen Ethik alle Fragen behutsam, modern, offen und effektiv behandelt werden können? Ein Paradigma der modernen Waldorfpädagogik sollte die altersgemäße Transparenz von Motivation und Methode sein: Wir arbeiten miteinander an Entwicklung, und teilen die Verantwortung für die Prozesse, mit deren Hilfe diese stattfindet. Das heißt, Oberstufenschülerinnen (besonders ab der elften Klasse, aber gerne auch schon früher) sollten erfahren, wie und warum sie unterrichtet werden, und ein angemessenes Mitgestaltungspotenzial wahrnehmen können. Dafür ist eine Thematik wie die “Beziehungskunst” hervorragend geeignet, weil Lehrer*innen hier nicht automatisch durch ihre Ausbildung oder Lebenserfahrung Statusvorteile haben: sie müssen für Prozesse offen sein, in denen verabredete Ziele gemeinsam erarbeitet werden. Das Gebot der Offenheit gilt auch für Eltern: Sie geben Prozesse in die Hand ihrer Kinder und der Schule, in denen erstere ihre Identität und ihren achtsamen Umgang miteinander erforschen können. Dazu gehört Vertrauen, und das fördert man vor allem durch transparente Intentionen und Lehrpläne.

Biografische Angaben

Sven Saar war 30 Jahre lang Klassen- und Oberstufenlehrer in englischen und deutschen Waldorfschulen und hat viel Erfahrung in der Einarbeitung und Mentorierung neuer Kolleg*innen. Heute lebt er in Südengland und ist international in der Lehrerbildung tätig, in einem von ihm begründeten Institut (www.modernteacher.org), aber auch in Deutschland (Freie Hochschule Stuttgart, Alanus Hochschule) und vor allem in asiatischen Ländern, wo er Pionierschulen in ihrer Entwicklung begleitet. Seit vielen Jahren schreibt er regelmäßig Beiträge für die „Erziehungskunst“.