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Wiederaufnahme des Schulbetriebs

Liebe Schulgemeinschaft,
die Einschränkungen der letzten Wochen betrafen alle der Bereiche des Menschenwesens. Die wirtschaftlichen Lebensgrundlagen, die geistigen Quellen, aber vor allem und wohl am gravierendsten die soziale Interaktion. Somit war auch der Kern der Waldorfpädagogik die Gemeinschaft – die sich in der Begegnung bildet – von seinem Nährboden abgeschnitten und auf die zuvor angelegten Grundlagen zurückgeworfen. Die gesamte Menschheit hat mit dem Auftreten der Atemwegserkrankung den Atem angehalten.

Weltweit fiel das Moment der Begegnung in Raum und Zeit aus und wurde durch eine „digitale Vernetzung“ ersetzt. Da, wo Auswege über verstärkten Medieneinsatz gesucht wurden, bei Lehrern und Schülern, konnte erlebt werden, wie durch die Reduktion auf akustische und optische Signale der geistig-seelische Teil des Menschenbildes verdeckt wurde. Das Gegenüber wurde eher gedacht oder erinnert und konnte nicht mehr neu ganzheitlich erfahren werden. Das Lernen reduzierte sich dadurch ebenso, wenn es nicht mit Hilfe der Eltern zuhause wieder angewärmt werden konnte, überwiegend auf ein rein kognitives, intellektuelles Gerüst.

Nun kommen die Schüler und Lehrer wieder zurück, demnächst vielleicht auch die Eltern. Ausgehungert, besonders was das volle Spektrum des Sozialkontakts betrifft, manchmal vielleicht bereits entwöhnt. Ausgehungert, was künstlerische Betätigung betrifft, mancher Zugang vielleicht verschüttet. Und die Anordnungen erlauben uns auch weiterhin nicht, in der Schule das freie Atmen, Musik, Eurythmie, Sport, Zirkus, Theater, Begegnung zu pflegen.

Den widrigen Umständen zum Trotz wollen wir mit spezifischem Blick auf jede Klassenstufe diesem Mangel begegnen:

In den unteren Klassen wollen wir wieder Rhythmus aufgreifen, Atmungsvorgänge stärken, wo es möglich ist. Daher werden die unteren Klassen jeweils jeden zweiten Tag zur Schule kommen. So kann der Epochenunterricht durch die Klassenlehrer am besten fortgesetzt werden. Der Wegfall aller Bewegungsfächer kann nicht ersetzt werden mit zusätzlichem Stillsitzen am Einzelplatz – Möglichkeiten einer Schulung in der Bewegung sind vielleicht als freiwillige Angebote in den Pausen denkbar, wobei dem wieder die Maskenpflicht entgegensteht. Mehr ist vielleicht machbar, wenn verstärkt Plastizieren und Aquarellieren in den unteren Klassen gepflegt wird, auch der Handarbeit und dem Werken kommt nun eine gewichtigere Rolle zu, Gartenbau hingegen wird durch die Masken stark behindert.

In diesem Jahr werden wir an unserer Schule unseren ersten Waldorfabschluss feiern. Das zentrale Motiv der Abschlussklasse ist „der Mensch“. Und der Mensch steht sowohl in einem äußerlichen, als auch in einem innerlichen Verhältnis zur Welt, das sich im Orakelspruch von Delphi ausspricht:

„Erkenne die Welt und du erkennst dich selbst – erkenne dich selbst und du erkennt die Welt“.

Man sieht an dieser Verschränkung von Ich und Welt, dass das Verbundene darin getrennt und das Getrennte verbunden ist. Dieses Verhältnis von Natur und Geist tritt uns gegenwärtig auch durch die Ereignisse um die Coronapandemie eindringlich und herausfordernd ins Bewusstsein. Unser Blick wird für das Atmen, das Innen und Außen, das Verhältnis des Ich zur Welt, zum anderen Menschen und zum fremden Ich geschärft.

Alle Oberstufenklassen werden einen fortlaufenden Hauptunterricht in den festgelegten Epochen und vereinzelte Fachstunden haben. Daneben wird sich ein zweiter Block bilden, der fächerübergreifend und projektorientiert verschiedene Themenschwerpunkte behandelt. So wird für die 12. Klasse die gemeinschaftliche, künstlerische Arbeit im Theaterspiel im Mittelpunkt stehen. Die 11. Klasse wird sich unter dem Oberbegriff des „Sozialen“ mit dem Austausch über die gegenwärtige Weltlage befassen und darin die eigene Urteilskompetenz erweitern und festigen. Die 10. Klasse wird sich dem Begriff der „Arbeit“ zuwenden und die 9. Klasse wird sich unter dem Motto „Interesse an der Welt“ auf ihr Landwirtschaftspraktikum vorbereiten.

„Wir müssen die Arbeit nach außen vergeistigen; wir müssen die Arbeit nach innen, die intellektuelle Arbeit, durchbluten! Denken Sie über diese zwei Sätze nach, dann werden Sie sehen, dass der erste eine bedeutsame erzieherische und auch eine bedeutsame soziale Seite hat; dass der letztere eine bedeutsame erzieherische und auch eine bedeutsame hygienische Seite hat.“
(Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde, S. 194)

Für die Schulführung
Anna Appelrath, Daphne König, Kim Ranft, Gabriele Schirra, Oliver Schmitt